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Gericht: Finanzgericht Brandenburg
Urteil verkündet am 19.09.2006
Aktenzeichen: 1 K 1998/02
Rechtsgebiete: UStG 1999, EWGRL 388/77


Vorschriften:

UStG 1999 § 1 Abs. 1a S. 1
UStG 1999 § 1 Abs. 1a S. 2
UStG 1999 § 1 Abs. 1a S. 3
EWGRL 388/77 Art. 5 Abs. 8
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Rechtsstreit

hat das Finanzgericht des Landes Brandenburg - 1. Senat - aufgrund mündlicher Verhandlung vom 19. September 2006 durch den Vorsitzenden Richter am Finanzgericht ..., den Richter am Finanzgericht ..., die Richterin am Finanzgericht ..., sowie die ehrenamtlichen Richter Herr ... und Frau ...

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens werden der Klägerin auferlegt.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Herr Stefan B... erwarb Ende 1998 das in L..., M...-straße, belegene und im Grundbuch von L..., Blatt 43, eingetragene Grundstück, Flur 2, Flurstück 262/2 mit einer Größe von 1.849 m². Er setzte es instand und verpachtete es als Gaststätte/Pub/Diskothek an Frau Judith C... Frau C... betrieb die Gaststätte/Pub/Diskothek laut den Verwaltungsakten bis zum 31.10.1999. Nach den beigezogenen Akten des Langerichts M... (1 O ...32/00) betrieb Frau C... die Gastwirtschaft allerdings lediglich bis zum 31.8.1999. Die Abmeldung der gewerblichen Tätigkeit durch Frau C... erfolgte am 25.10.1999. Die Gesellschafter der Klägerin erwarben mit Kaufvertrag vom 7.10.1999 das Grundstück und die Einrichtung der Diskothek von Herrn B... zu einem Kaufpreis in Höhe von 950.000 DM zuzüglich Umsatzsteuer. Von dem Kaufpreis sollte ein Kaufpreisanteil in Höhe von 350.000 DM auf die Einrichtung der Gaststätte entfallen. Nutzen und Lasten sollten am 1.11.1999 übergehen.

Bereits am 30.10.1999 verpachtete die Klägerin das Objekt an ihre Gesellschafterin Frau A.... Das Pachtverhältnis sollte am 1.11.1999 beginnen. Der monatliche Pachtzins sollte 8.000 DM betragen. In der Folge führten die Gesellschafter der Klägerin einen Rechtsstreit gegen den Veräußerer, der unter dem Aktenzeichen 1 O ...32/00 beim Landgericht M... beziehungsweise unter dem Aktenzeichen 5 U 171/02 beim Brandenburgischen Oberlandesgericht anhängig war. Dort erstrebten sie erfolgreich die Rückabwicklung des Kaufvertrages. Auf die beigezogenen Akten wird verwiesen. Der Titel konnte jedoch noch nicht vollstreckt werden.

Der Beklagte erkannte den von der Klägerin geltend gemachten Vorsteuerabzug aus dem Grundstückskaufvertrag sowie das Pachtverhältnis zwischen der Klägerin und Frau A... nicht an und setzte die Umsatzsteuer auf 0,00 DM fest. Hiergegen legte die Klägerin fristgerecht Einspruch ein. Mit Schreiben vom 21.6.2002 teilte der Bevollmächtigte der Klägerin mit, dass das Objekt übernommen und von Frau A... nahtlos fortgeführt worden sei. Das Einspruchsverfahren blieb erfolglos.

Die Klägerin trägt vor, dass unmittelbar nach Nutzen- und Lastenübergang der Umsatz gegenüber den ihr vom Veräußerer vorgelegten Zahlen katastrophal eingebrochen sei, so dass Frau A... die vereinbarte Pacht nicht habe bezahlen können. Eine unentgeltliche Überlassung des Objekts sei nie beabsichtigt gewesen. Das Grundstück sei ausdrücklich ohne Pachtvertrag übergeben worden, denn der Pachtvertrag sei erst nach dem Kaufvertrag geschlossen worden. Für die Annahme einer Teilbetriebsveräußerung sei nach der Kommentarliteratur Voraussetzung, dass ein bestehender Pachtvertrag vom Veräußerer übernommen werde. Die Klägerin beruft sich in rechtlicher Hinsicht ferner auf den Beschluss des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 1.4.2004 (V B 112/03, BFH/NV 2004, 1198).

Die Klägerin beantragt,

den Umsatzsteuerbescheid 1999 vom 6.2.2002 in Form der Einspruchsentscheidung vom 16.8.2002 dahingehend abzuändern, dass der Vorsteuerbetrag aus dem Kaufvertrag des Grundstücks in L... berücksichtigt wird;

hilfsweise die Revision zuzulassen sowie die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen;

hilfsweise die Revision zuzulassen.

Der Beklagte bringt im Wesentlichen vor, dass der Veräußerer zwar das Grundstück nicht mit einem bestehenden Pachtvertrag an die Klägerin übereignet habe. Zum Zeitpunkt des Übergangs von Nutzen und Lasten habe jedoch bereits ein neuer Pachtvertrag zwischen der Klägerin und Frau A... bestanden. Die Klägerin habe den Verpachtungsbetrieb daher ohne weitere nennenswerte Investitionen fortsetzen können, was für eine Betriebsveräußerung im Ganzen im umsatzsteuerlichen Sinn ausreichend sei. Der Steuerberater selbst habe in der steuerlichen Anmeldung der Frau A... vom 25.10.2001 versichert, dass diese ein bereits bestehendes Unternehmen vom Verkäufer übernommen habe.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet. Der Beklagte hat den Vorsteuerabzug zu Recht versagt, denn der Veräußerer hat zumindest ein Teilunternehmen an die Klägerin verkauft .

Die Umsätze im Rahmen einer (Teil-)Geschäftsveräußerung an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen unterliegen gemäß § 1 Abs. 1 a Satz 1 Umsatzsteuergesetz - UStG - 1993 (ab 1. April 1994) nicht der Umsatzsteuer. Eine Geschäftsveräußerung liegt nach § 1 Abs. 1 a Satz 2 UStG vor, wenn ein Unternehmen oder ein in der Gliederung eines Unternehmens gesondert geführter Betrieb im Ganzen entgeltlich oder unentgeltlich übereignet oder in eine Gesellschaft eingebracht wird.

Gemäß Art. 5 Abs. 8 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) können die Mitgliedstaaten die Übertragung des Gesamtvermögens oder eines Teilvermögens, die entgeltlich oder unentgeltlich oder durch Einbringung in eine Gesellschaft erfolgt, so behandeln, als ob keine Lieferung von Gegenständen vorliegt und den Begünstigten der Übertragung als Rechtsnachfolger des Übertragenden ansehen. Die Mitgliedstaaten treffen gegebenfalls die erforderlichen Maßnahmen, um Wettbewerbsverzerrungen für den Fall zu vermeiden, dass der Begünstigte nicht voll steuerpflichtig ist.

Diese Vorgaben der Sechsten Richtlinie sind auch bei der Frage zu berücksichtigen, ob ein Unternehmen oder ein in der Gliederung gesondert geführter Betrieb "im Ganzen" übereignet worden ist (so ausdrücklich Bundesfinanzhof - BFH -, Urteil vom 28.11.2002 V R 3/01, BFH/NV 2003, 436). Denn selbst wenn eine nationale Rechtsvorschrift - wie hier § 1 Abs. 1a UStG - die Regelungen der Sechsten Richtlinie umsetzt, so haben die Mitgliedstaaten - und damit im Rahmen ihrer Zuständigkeit auch die Gerichte (vgl. z.B. Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften - EuGH -, Urteil vom 26. September 1996 Rs. C-168/95, Arcaro, Slg. 1996, I-4705 Rn. 41) - weiterhin die vollständige Anwendung der Richtlinie tatsächlich zu gewährleisten (z.B. EuGH-Urteil vom 11. Juli 2002 Rs. C-62/00, Marks & Spencer, Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht - UVR - 2002, 286 Rn. 27). Für die Übertragung eines Unternehmens oder eines in der Gliederung des Unternehmens gesondert geführten Teils "im Ganzen" bedeutet dies, dass eine organische Zusammenfassung von Sachen und Rechten übertragen werden muss, die dem Erwerber die Fortführung des Unternehmens oder des in der Gliederung des Unternehmens gesondert geführten Teils ermöglicht. Ein bloßer Erwerb in Abwicklungsabsicht unterfällt jedoch nicht dem Begriff der Geschäftsveräußerung im Ganzen (vgl. EuGH-Urteil vom 27.11.2003 Rs. C - 497/01, Zita Modes Sàrl, BFH/NV Beilage 2004,128).

Hinzu kommt, dass es nach der Rechtsprechung des BFH unter Berücksichtigung von Zweck und Entstehungsgeschichte des § 1 Abs. 1 a UStG nicht erforderlich ist, dass alle Wirtschaftsgüter, insbesondere auch die dem Unternehmen dienenden Grundstücke, übereignet werden. Wesentlich ist vielmehr, dass die übertragenen Vermögensgegenstände ein hinreichendes Ganzes bilden, um die Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit zu ermöglichen, und der Übernehmer diese Tätigkeit ausübt. Um zu ermitteln, ob dies der Fall ist, sind der Vorgang und seine Begleitumstände einer Gesamtbewertung zu unterziehen, bei der insbesondere die Art der übertragenen Vermögensgegenstände und der Grad der Übereinstimmung oder Ähnlichkeit zwischen den vor und nach der Übertragung ausgeübten Tätigkeiten zu berücksichtigen sind (vgl. BFH am angegebenen Ort - a.a.O. -).

Die Klägerin hat vorliegend im Ergebnis die Verpachtungstätigkeit des Veräußerers zumindest ohne nennenswerte zeitliche Unterbrechung fortgesetzt. Bereits mit Vertrag vom 30.10.1999 - und damit einen Tag vor Übergang der Nutzen und Lasten - haben die Klägerin und Frau A... einen Pachtvertrag geschlossen. Das veräußerte und das nunmehr betriebene Gewerbe erscheinen letztlich identisch. Es ist nicht einmal ersichtlich, dass eine längere Pause bei dem Betrieb der "Diskothek" eingetreten wäre, denn nach den beigezogenen Akten ist bis Ende Oktober, mindestens aber bis Ende August die "Diskothek" von einer anderen Nutzerin aufgrund eines vorhergehenden Pachtverhältnisses betrieben worden. Investitionen, die in der Zwischenzeit getätigt worden sein könnten, sind weder behauptet noch aus den beigezogenen Akten ersichtlich.

Für unbeachtlich hält der Senat, dass der - neue - Pachtvertrag erst zeitlich nach dem schuldrechtlichen Kaufvertrag geschlossen worden ist (zur nicht steuerbaren Geschäftsveräußerung bei Veräußerung verpachteter Immobilien unter Fortführung des Pachtvertrages vergleiche BFH Beschluss vom 1.4.2004 V B 112/03, BFH/NV 2004, 1198 und Urteil vom 18.1.2005 V R 53/03, BFHE 208,491). Denn nach der Rechtsprechung des BFH ist entscheidend, dass die übertragenen Vermögensgegenstände ein hinreichendes Ganzes bilden, um die Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit zu ermöglichen, und dass der Übernehmer diese Tätigkeit ausübt. Mit dem Erwerb des Grundstücks und der Vertragsgestaltung der unmittelbar anschließenden Verpachtung hat die Klägerin nahtlos die Verpachtungstätigkeit übernommen (a.A. Husmann in Rau/Dürwächter, UStG, § 1 Randzimmer - Rz.- 1112, der den Übergang des Pachtvertrages fordert). Davon geht der Senat auch für den Fall aus, dass die vorhergehende Pächterin entgegen der Angaben in den Verwaltungsakten sowie in der Gewerbeabmeldung das Pachtverhältnis bereits Ende August beendet haben sollte. In diesem Falle wäre die Geschäftstätigkeit nur wenige Wochen unterbrochen gewesen. Dies hält der Senat aufgrund der identischen Geschäftstätigkeit vom Veräußerer und Übernehmer für irrelevant.

Für die Übernahme des Unternehmens des Veräußerers spricht schließlich auch, dass die Klägerin selbst vorgetragen hat, dass der Umsatz des übernommenen Unternehmens katastrophal eingebrochen sei und deshalb die Pachtzahlungen nicht hätten erfolgen können. Gerade dieser Vortrag zeigt, dass ein laufender Diskothek-Betrieb übernommen wurde und nicht nur eine leer stehende Immobilie. Anders als der dem Urteil des BFH V R 53/02 zu Grunde liegende Sachverhalt war damit die Verpachtung des veräußerten Grundstücks gerade nicht endgültig eingestellt.

Dass gerade die Weiterführung eines Unternehmens - der Diskothek - beabsichtigt war, zeigt auch der Zivilrechtsstreit der Gesellschafter der Klägerin gegen den Veräußerer. Dort erreichten die Kläger die Rückabwicklung des Kaufvertrages über das Grundstück. Dieser Rechtsstreit wurde geführt, weil die Gaststätte nicht den Umsatz einbrachte, mit dem die Erwerber aufgrund einer vom Veräußerer übergebenen Einnahme-Überschussrechnung gerechnet hatten. Auf das Urteil des LG M... 1 O ...32/00 und das Urteil des Brandenburgischen Oberlandesgerichts 5 U 171/02 wird insoweit verwiesen.

Die Gaststätte/Diskothek war auch ein in der Gliederung eines Unternehmens gesondert geführter Betrieb, weil auch nach dem Vortrag der Klägerin in der mündlichen Verhandlung jedenfalls die anderen gewerblichen Betätigungen des Veräußerers, wie Installationsunternehmen, Reisebüro etc. völlig andere Geschäftsfelder betrafen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung - FGO -.

Die Revision zum Bundesfinanzhof war wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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